großreuth

DAS GROSSREUTHER SCHWEDENHAUS

GRUNDLAGENERMITTLUNG ZUM BAUDENKMAL

Begriffserklärung
Noch in der Zeit der Renaissance, jedoch auf Basis einer wesentlich älteren Bauform, entstanden in den Dörfern um Nürnberg Bauernhäuser mit tief heruntergezogenen, mächtigen Mantel- bzw. Walmdächern. Albrecht Dürers erstaunlich realistische Ansicht von Kalchreuth zeigt, dass um 1500 viele Dörfer von derartigen Bauten geprägt waren. Die Schwedenhäuser sind daher für die lokale Architekturgeschichte von hoher Bedeutung, ihre Besonderheit besteht darin, dass der Dachstuhl nicht auf den Außenwänden aufliegt, sondern dass die Sparren auf einer mächtigen innenliegenden Ständerkonstruktion stehen, deren unterer Teil etwa doppelt so hoch ist wie die Außenwände des Hauses. Vor dem zweiten Weltkrieg existierten in Großreuth noch zwei „Schwedenhäuser“. Weil die Gebäude aus der Zeit vor dem 30-jährigen Krieg, dem Schwedenkrieg, stammen, bürgerte sich die Bezeichnung „Schwedenhäuser“ oder „Wendenhäuser“ ein. Das größere der Beiden (Hausnummer 99) wurde 1929 trotz des erbitterten Protests von Seiten der Heimatschützer und Denkmalpfleger wegen Baufälligkeit abgerissen, das kleinere (Hausnummer 98, Bild oben) ist glücklicherweise noch vorhanden.

Recherche
Beim Zurückverfolgen der Geschichte des Gebäudes, das heute die Adresse „Großreuther Straße 98“ hat, trifft man auf zwei unüberwindliche Hürden. Die erste ist die Kurzatmigkeit der sytematischen Erfassung der wichtigen Baudenkmäler, die in diesem Fall auf besonders tragische Weise hervortritt. Auf der anderen Seite der Großreuther Straße stand bis 1929 das im Volksmund so genannte „große Schwedenhaus“. Dieses Haus galt schon in früherer Zeit als das älteste im Nürnberger Umland, Baujahr zwischen 1500 und 1550. Dieser „große Bruder“ degradierte unser heute noch erhaltenen Schwedenhauses jahrhundertelang auf den zweiten Platz in Großreuth. In mehreren Nachschlagewerken zum fränkischen Bauernhaus finden sich ausführliche Beschreibungen zum „Schwedenhaus“ in der Großreuther Straße 99, während die Geschichte des kleinen Schwedenhauses Nr. 98 offensichtlich niemanden interessierte. Noch im Bauernhauslexikon „Das Bauernhaus im Gebiet der fränkischen Reichsstadt Nürnberg“ von Rudolf Helm, 1940, steht über dieses Haus unter der Überschrift „Schwedenhäuser“ lediglich der Satz „Ein ganz kleines steht in Großreuth h.d.V.“ Während im Anschluss das große Schwedenhaus auf vier Seiten mit Skizzen, Fotos und Text gewürdigt wird, wird das kleine Schwedenhaus übergangen. Erst mit dem Abriss des großen Schwedenhauses 1929, als das kleine Schwedenhaus zum ältesten Gebäude in Großreuth h.d.V. und zu einem der ältesten Gebäude im Umland von Nürnberg wurde, offenbarte sich die dringende Notwendigkeit zur Recherche seiner Geschichte, jedoch unterbrach nun der Zweite Weltkrieg die Forschung, indem er viele der entscheidenden Dokumente über dieses Haus auslöschte. Zerstört wurden alle Häuserkataster, alle Besitzfassionsbücher bis auf eines, der komplette Vorkataster von ca. 1811 und alle Umschreibebücher bis auf eines. Obwohl eine Liste mit den alten, malerischen Flurnamen der Gemeinde über die Zeit gerettet wurde (siehe Anhang 1), konnten diese leider den Flurnummern des Urkatasters von 1833 nichtmehr zugeordnet werden. Auch ließen sich über den „Historischen Atlas von Bayern – Teil Franken“ die Grundherren ermitteln, die in Großreuth h.d.V. Besitzungen hatten (siehe Anhang 2). Jedoch konnte durch die Lücke in der Besitzerfolge, die sich durch den fehlenden Vorkataster ergibt, keine Verbindung zu den in den Saalplänen genannten Daten herstellen. Die Herabwürdignung des Hauses ist symptomatisch: während das große Schwedenhaus offenbar relativ konstant in den Händen der Familie Lottes blieb, wechselte das kleine Schwedenhaus in den letzten zweihundert Jahren mindestens dreimal die Eigentümerfamilie, was die Recherche erneut erschwert. Auch ein anderer Weg der Unterscuhung schlug fehl. In den Akten des „Waldamt Sebaldi“ finden sich einige Gesuche der Großreuther Bauern zu Hauserweiterungen, Neubauten und anderen Baumaßnahmen. Hier findet sich sogar eine Lageplanskizze, die der heutigen Aufteilung des Grundstücks sehr nahe kommt (siehe Rep 76/1), jedoch bleibt auf Grund fehlender Klarheit über die damaligen Besitzverhältnisse jede Aussage zu dieser Ähnlichkeit Spekulation. Somit bleibt die gesicherte Recherche auf die Zeit ab der Mitte des 19. Jahrhunderts beschränkt.

Besitzerfolge
Anhand des Vorkatasterplans von 1811 (Anhang 3a) ließ sich die Flur- und Hausnummer des heutigen Flurstücks Nr. 42/2 widerspruchsfrei bestimmen. Die im Hoffeld stehende Zahl gibt somit die Flurnummer 36 an, während die untere, im Hausfeld stehende Zahl die Hausnummer 28 benennt. Die seltsame Tatsache, dass sich östlich dieser Hausnummer ein Haus mit der Nummer 34 befindet, während sich westlich davon die Hausnummer 37 erstreckt, lässt sich dadurch erklären, dass das besagte Haus nur das Wohnhaus für die Landwirtsfamilie war, die den Flur Nr.9 bewirtschaftete, auf dem sich ebenfalls ein Gebäude mit der Hausnummer 28 befindet, das jedoch für ein Wohnhaus zu klein ist. Als in dem Straßendorf die Hausnummern im Uhrzeigersinn oben links beginnend vergeben wurden, wurde wohl der Schuppen mit der Nr. 28 bezeichnet, wonach das später kommende Wohnhaus ebenfalls die Nummer 28 erhielt. Untermauert wird dies durch den Flächenkataster und den Urkataster von 1833 (Anhang 4a), in dem eine Hausnummer 28 direkt mit einer Flurnummer 36 in Verbindung gebracht wird. Weder existiert im Katasterplan eine Hausnummer 36, noch eine andere Hausnummer für das Flurstück Nummer 36.

Folgt man diesen Überlegungen, findet sich 1833 die Witwe Katharina Beck als Eigentümerin der Hausnummer 28 „Beim Daniel“. Sie erhielt das Objekt am 28. September 1828 nach dem Tod ihres Ehemannes und verkaufte ihr Gut laut dem Umschreibekataster von 1833 (Anhang 4b) am 13. Februar 1837 für 300 Gulden an Conrad Nützelsberger. Der Kauf ist nicht verwunderlich: das noch vorhandene Besitzerfassionsbuch von ca. 1808 weist die Familie Nützelsberger als Eigentümer mehrerer Güter aus. Auch im „Grund- und Lagerbuch des Freyherrlichen von Plummern’schen Rittergutes Bubenreuth“ von 1847 wird Conrad Nützelsberger als Käufer eines Ackers in Großreuth h.d.V. (No. 127) genannt. Im Grundsteuerkataster von 1855 (Anhang 5) steht seit dem 13.April 1853 die Witwe Barbara Nützelsberger als Eigentümerin des Gebäudes Hausnummer 28 eingetragen. Der Besitz wird laut dem Grundsteuerkataster von 1870 (Anhang 6a) am 21. Juli 1865 durch Erbteilung an die Nachkommen verteilt. Der Umschreibekataster von 1870 (Anhang 6b) nennt Friedrich Nürzelsberger als neuen Eigentümer. Noch im Grundsteuerkataster von 1887 wird Friedrich Nürzelsberger als Eigentümer der Hausnummer 28 genannt (Anhang 7a). Das Umschreibeheft von 1887 nennt später Johann Nützelsberger als Eientümer (Anhang 7b). Was in den folgenden Jahren geschieht ist unklar. Ab 1902, ebenso im Katasterplan von 1904 (Anhang 8) wird als Eigentümer des westlichen Grundstückteils, dem heutigen Flur Nr. 42/2, Edmund Reulbach genannt. Der andere Grundstücksteil gehörte damals Georg Geiger. Nach dem Stand vom 01. Januar 1929 ist das Eigentumsrecht in der Zwischenzeit auf dessen Sohn Lorenz Reulbach übergegangen. Eine Gebäudeanalyse von Paul Heine und Willi Wolf, Studenten der „Georg-Simon-Ohm Fachhochschule Nürnberg“, aus dem Jahr 1959 (Anhang 9) belegt, dass in dem Haus damals statt einer Toilette noch ein Trockenabort vorhanden war. Nach Aussagen von Nachbarn war das Haus bis in die 1980er Jahre bewohnt, als es schon Eigentum des Ehepaars Stemmer war.

Nach einem Bericht von Dr. August Nagel ließ sich das untersuchte Gebäude als ehemaliges Hirtenhaus identifizieren, dessen Baujahr sich auf 1561 auf dem Grund des „Herrn Dr. Chro. Ketzler“ beläuft. Urkundliche Quellen weisen die Adresse um 1600 als „Großreuther Straße 8 und 9“ aus. Dr. Nagel vermutet das Gebäude auf Grund der „Nachrichten der waldamtlichen Pandbücher“ im 18. Jh. auf Hausnummer 2. Seine Beschreibung der Verhältnisse vor 1811 steht damit mit der oberen Argumentation nicht in Konflikt, lediglich in der Zeit zwischen 1833 und 1902 weichen die Ergebnisse ab. Dr. Nagel gibt für diese Zeit eine „alte Haus-Nr. 37“ an, die allerdings nach dem Katasterplan von 1811 das westliche Nebengebäude betrifft. Nach Aussage eines Anwohners befand sich an der Westseite des Schwedenhauses früher der Gemeindeplatz, was der Möglichkeit einer Verwechslung zusätzlich entspricht. Dr. Nagels Ausführung zufolge ging das Gebäude 1825 aus der Schmidtschen Debitmasse in Gemeindebesitz über und wurde zum Hirtenhaus. Gegen diese Vermutung spricht die Tatsache, dass das Gebäude noch in den Katasterplänen von 1887 Teil eines Grundstücks mit zwei Wohnhäusern war, für beide Wohnhäuser des wohl 1898 geteilten Grundstücks sind ab 1904 private Eigentümer nachweisbar. Auf Grund dieser Unstimmigkeiten wirkt Dr. Nagels Aussage beinahe prophetisch, wenn er nach seinen gründlichen Recherchen bemerkt: „Damit ist aber das Problem der Geschichte dieses wertvollen Baudenkmales mit seinem Vollwalmdach noch nicht gelöst.“

Merkmale des Gebäudes
Die Art des Grundrisses, ein langgezogenes Rechteck mit Eingangsbereich an der langen Seite, die dem von Wirtschaftsgebäude, Backofen und Stall eingefassten Hof entgegenschaut, sowie seine Lage, mit der schmalen Seite zur Straße, sind typische Merkmale der Großreuther Häuseranlagen. Anhand anderer Schwedenhäuser mit ähnlichem Grundriss lässt sich feststellen, dass der Eingang immernoch an seiner ursprünglichen Position ist. Der Kamin wurde nachträglich eingebaut, was die Rauchluken auf beiden Seiten des Dachfirstes erklärt. Die dendro-chronologische Untersuchung (Anhang 10) ergab eine Schlagzeit für das verwendete Holz um das Jahr 1556, was mit dem Wiederaufbau Großreuths nach einer vollständigen Zerstörung im 2. Markgrafenkrieg übereinstimmt. Das Dachtragwerk ist in der Ausführung verglichen mit anderen Schwedenhäusern üblicher Standard.

Anfertigung des verformungsgerechten Aufmaßes
Alle Arbeitsschritte vor Ort wurden zwischen dem 01. August und dem 28. August 2006 vorgenommen. Zuerst wurde im Erdgeschoss die Höhe der Schnittebene auf +1,20 m festgelegt. Als erste Achse wurde die horizontale 0,00-Achse im DG gespannt. Diese Achse konnte über die Dachluke im Raum DG.02 mit Hilfe des Theodoliten auf einen zugänglichen öffentlichen Bereich ausserhalb des Gebäudes verlängert werden. Diese Projektion konnte hergenommen werden um die Achse im R.02 in das Gebäude hineinzuverlängern. Als zweite Achse wurde also die horizontale 0,00-Achse im EG gespannt. Die restlichen Maßachsen wurden, ausgehend von den beiden vorhandenen Achsen, rechtwinkig in die restlichen Räume des Gebäudes entwickelt. Der kleine Toilettenraum wurde über eine Dreiecksmessung anhand einer Achse eingemessen. Als zweite Verbindung der EG- und OG-Achsen wurde auf Grund eines fehlenden zweiten übereinanderliegenden Fensterpaares eine Lotmessung durch das Treppenhaus durchgeführt. Die Messung ergab eine Abweichung der beiden horizontalen 0,00-Achsen von weniger als 0,3 cm. Alle Messwerte wurden auf 0,5cm gerundet. Projektionen von Boden und Decke wurden über ein Fadenlot in die Achsen eingemessen. Bei allen Handlungen stand der Grundsatz der Minimalinvasivität an erster Stelle.

Auffällige Besonderheiten innerhalb des Gebäudes sind in einer Fotodokumentation der Innenräume (Anhang 11) zu finden. Hierfür wurde eine Minolta 404si Spiegelreflexkamera mit Macroobjektiv 0,38m und ein Farbfilm HR 400 (24 x 36 mm) verwendet. Auf Grund der schlechten Lichtverhältnisse im Gebäude wurden alle Fotos mit Blitzlicht angefertigt. Es wurden während der Projektarbeit keine Veränderungen der Bausubstanz vorgenommen. Alle Befunde wurden bereits in der dokumentierten Form vorgefunden.

Die vollständige Dokumentation mit allen erwähnten Quellendokumenten liegt dem Verfasser vor, die großformatigen Aufmaßpläne wurden der unteren Denkmalschutzbehörde in Nürnberg übergeben.